Wie
zuverlässig ist „Die freie Enzyklopädie Wikipedia“ –
wie
unabhängig ist das „Online-Lexikon“?
Von
Gerhard Klußmeier
Wer
aus welchen Gründen auch immer schnelle Information benötigt,
„googelt“ im Internet nach einem Namen, um Lebensdaten zu
erfahren oder um die Einwohnerzahl eines Ortes zu ermitteln. Bei
„Wikipedia“ findet man dann schnell die – vermeintlich –
präzise Information, jedenfalls kurz und prägnant, für den
Augenblick meist ausreichend.
Wer
sich jedoch als Journalist oder Sachbuchautor nicht an anderen
Quellen „rückversichert“ und die Fakten abwägt, muss damit
rechnen, eventuelle Fehler von „Wikipedia“ weiter zu geben.
Nun
sind übernommene falsche Lebensdaten oder ein nicht korrekt
angegebener Geburtsort zwar ärgerlich, doch kaum etwas, das großen
Schaden anrichtet.
Anders
sieht es aus – manchmal durchaus eine Gratwanderung – bei
Personen der Zeitgeschichte, die z.B. als Politiker weitreichende
Bedeutung hatten oder noch haben. Da genügen manchmal schon falsch
zu deutende Formulierungen, um die betreffenden Personen unverdient
zu glorifizieren oder möglicherweise zu diskreditieren. Dann greifen
auch schon mal Anwälte oder Interessenvertreter ein.
Was
aber ist, wenn möglicherweise kommerziell interessierte Gruppen die
„Wikipedia“-Biografie einer populären Person für ihre Zwecke
gestalten, in Besitz halten und dazu schlichtweg Biografien erfinden?
So
ist z.B. bei „Wikipedia“ – und hierzu ein eklatantes Beispiel –
unter dem Stichwort „Konrad Kujau“ zu lesen, was mangels anderer
Quellen schon in unzählige Beiträge übernommen wurde:
„
„Konrad
Paul Kujau
(* 27. Juni 1938 in Löbau; † 12. September 2000 in Stuttgart) war
ein deutscher Maler, Kunstfälscher und Aktionskünstler. Beim
Luftangriff auf Dresden im Februar 1945 wurde die Familie Kujau
auseinandergerissen. Daraufhin verbrachte Konrad Kujau seine Kindheit
und Jugend in einem Waisenhaus, bis die Familienmitglieder im Jahre
1951 wieder zusammenfanden. Kujau absolvierte die Volks- und
Oberschule in seinem Heimatort. Dort war er bereits während der
Schulzeit zeichnerisch tätig und veröffentlichte u. a.
Karikaturen in verschiedenen Publikationen wie der Sächsischen
Zeitung, der Jungen Welt, der Zeitschrift Frösi oder dem
Eulenspiegel. Durch schwunghaften Verkauf von Autogrammkarten mit
täuschend echt nachgemachten Unterschriften damaliger DDR-Politiker
besserte er sein Taschengeld auf. In der Zeit nach dem Abitur (1956)
bis zum Juli 1957 war er an der Kunstakademie Dresden eingeschrieben.
Danach ging er aus der DDR nach West-Berlin. 1958 begann er ein
Studium an der Kunstakademie Stuttgart. In dieser Zeit lernte Kujau
von Kunstmalern und Restauratoren, denen er zur Hand ging. 1961 brach
er sein Studium ab und betätigte sich selbst als Künstler. Zusammen
mit seiner damaligen Lebensgefährtin Edith Lieblang lebte er in
Bietigheim-Bissingen.“
Das
lässt Konrad Kujau, diesen vermeintlichen Schelm, sympathisch
erscheinen,
von dem man gerne
etwas besitzen und kaufen könnte. Doch in diesem Online-Lexikon-Text
stimmt, bis auf Lebensdaten und Schluss-Satz, nichts. Es handelt sich
vielmehr um ein vermutlich vorsätzlich so übernommenes Konglomerat
aus Kujaus unzähligen Biografie-Varianten, die er auch gegenüber
der Polizei bei etlichen Verhören ausschweifend von sich gab.
Doch
Kujaus, bei „Wikipedia“ so legendenhaft wiedergegebener
Lebensweg, sah anders aus – keine Oberschule, kein Abitur, kein
Kunststudium und auch keine Zeichnungen für DDR-Blätter.
Die
Polizeiakten seiner unzähligen Kriminaldelikte, die beim
STERN-Prozess (1983) einst unbeachtet geblieben – unverständlich
bei einem mehr als häufig Vorbestraften – belegen neben den
Delikten seines kriminelles Wirkens anhand von Zeugnissen,
Arbeitsbüchern und Ausweispapieren u.a. ein anderes, das wahre Leben
Kujaus in der DDR und darüber hinaus.
So
dokumentieren Zeugnisse den Schulbesuch von 1951 bis zum
„Abschlußzeugnis der Grundschule“ in Löbau, der dortigen
Preuskerschule vom 4. Juli 1954. Zusatz: „K. gab sich Mühe, seine
Leistungen zu verbessern. Im Unterricht arbeitete er rege mit. Seine
schriftlichen Aufgaben erledigte er stets. Auf die Klasse übte er
einen starken, zum Teil negativen Einfluss aus…“.
Das
Fach „Russisch“ war mit „Genügend (3), „Zeichnen“ mit
„sehr gut“ (1) benotet worden und zum „Ergebnis der
Abschlußprüfung“ hieß es „Gut bestanden“ – wohl gemerkt:
Abschluss der Grundschule, mehr nicht!
Schon
während der Schulzeit, so belegt es sein Versicherungsausweis,
arbeitete Kujau als Verkäufer in Leipzig, war ab 1. September 1954
bis 3. Juli 1955 beim Stahlbau Güttler im 15 km entfernten
Neugersdorf als Bauschlosser-Lehrling angestellt, arbeitete vom 19.
Januar 1956 bis 27. Februar 1956 als Packer im VEB Oberlausitzer
Textilveredelungswerk Löbau, dann ab 20. März 1956 bis 23. Mai 1956
als Hilfsarbeiter beim Dachdeckermeister Koch in Löbau und vom 23.
April 1957 an als Lagerarbeiter in einem Großhandelskontor für
Lebensmittel seiner Heimatstadt.
Und
in der Hamburger Prozessakte steht dazu: „Nach seinen eigenen
Angaben will Konrad Kujau am 07. 06. 1957 die DDR verlassen haben.“
Das
mag so stimmen, geschah aber keineswegs freiwillig: Er flüchtete, um
einem Prozess oder den Folgen daraus zu entgehen. Auf Blatt 3721 der
Vernehmungsprotokolle vom Amtsgericht Hamburg ist zu lesen; „Gemäß
Beschluss des Kreisgerichts Löbau vom 01. 06. 1957 wurde gegen
Konrad Kujau die Hauptverhandlung wegen Diebstahl eine Mikrophons im
Werte von DM 40,-- am 18. 04. 1957 eröffnet.“ (Diebstahl aus einem
FDGB-Heim!)
Kujau
verließ die DDR und setzte in der Bundesrepublik die in Löbau
begonnene „Laufbahn“ mit Diebstählen, Einbrüchen,
Hochstapelleien und Betrügereien fort, wie es umfangreiche
Polizeiakten zu seinen Straftaten ab November 1959 dokumentieren Er
begann mit Diebstahl und Unterschlagung bei seinem Arbeitgeber
(Konsum-Genossenschaft Stuttgart), wo er als Beifahrer angestellt
war, sowie kurz darauf als Einbrecher in ein Stuttgarter
Spirituosenlager und vieles mehr. Was belegt, dass auch die weitere
Kujau-Biografie bei „Wikipedia“ mit angeblichem Kunststudium etc.
nicht den Tatsachen entspricht.
Wie
zuverlässig ist also „Wikipedia“? Doch vor allem: Wie unabhängig
ist das Online-Lexikon, denn jede Korrektur, jeder Zusatz zum
Kujau-Eintrag wird vom „Wikimedia-Support-Team“
unterbunden …. Und Kujau-Fälschungen und Fälschungen von
Kujau-Fälschungen sind, wie bei „Ebay“ ersichtlich, immer noch
ein gutes Geschäft,.…
Gerhard
Klußmeier
Eichengrund
9
21224 Rosengarten
21224 Rosengarten
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen